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Wissenschaftlicher Unfug

Unseriös & dumm: Mainstream macht Ötzi zum 'Ötz-Türk'

Kultur
Zeitungen: Freepik; Ötzi: 120, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; Schlagzeilen: Puls24, oe24, Nordkurier (Bildzitate); Komposition: Der Status.

Seit über 30 Jahren begeistert der Mann aus dem Eis die Menschen: "Ötzi" ist die älteste erhaltene Mumie der ganzen Menschheit. Viele Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen balgen sich um die Ehre, den faszinierenden Fund unter die Lupe zu nehmen, um mehr über unsere Vergangenheit zu erfahren. Eine neue Untersuchung zeigte nun, dass sein Genom ein besonders unvermischtes Beispiel einer frühen Bauernpopulation ist. Doch der Mainstream verdreht die wissenschaftlichen Erkenntnisse komplett und macht aus Ötzi einen Türken - Ohne Witz!

Ötzi: Nachfahre "anatolischer Urbauern"

Bei der in der Fachwelt als "Anatolian Neolithic Farmers" bekannten Gruppe handelt es sich um jungsteinzeitliche europäische Siedler. Sie sollen vor etwa 9.000 Jahren aus Anatolien nach Europa eingewandert sein und bei der Ausbreitung des Ackerbaus eine große Rolle gespielt haben. Dabei hinterließen sie nicht nur kulturelle Objekte und Agrar-Techniken, sondern auch ihre Gene: Viele heutige Europäer sind direkte Nachfahren der früh-europäischen Bauern. Am deutlichsten ist dieser urzeitliche Einfluss in den Genen isolierter Völker zu finden, etwa bei Basken oder Sardiniern. Schon seit Jahren bestand daher die Annahme, dass auch Ötzi zumindest teilweise ein Nachfahre dieser Population sein könnte.

Bereits sein seltener Y-DNA-Haplotyp G2a2b-L91 deutete darauf hin. Doch die Untersuchung in der väterlichen Linie betrifft eben nur einen kleinen Genom-Teil. So nahm man auch Vorfahren aus der europäischen Urbevölkerung und osteuropäischen Steppenvölkern an. Eine breiter angelegte Gen-Analyse offenbarte nun eine Sensation. Denn Ötzis DNA-Marker stimmen zu 92% mit einem jungsteinzeitlichen Grab in Westanatolien überein, das als repräsentativ gilt. Dies übertrifft sogar den Wert von 85%, den man auf Sardinien fand. Das heißt: Ötzis Ahnen blieben über Jahrtausende weitgehend "unter sich" und vermischten sich weder mit einer vorigen Urbevölkerung, noch mit späteren Einwanderern. 

Systempresse macht Ötzi zum "Türken"

Aber die Wissenschaft - oder viel mehr die Art ihrer Interpretation - ist immer auch ein Spiegelbild des politischen Zeitgeistes. So hätte man diese Erkenntnis vor 80 Jahren wahrscheinlich - nicht minder problematisch - als Beweis "besonderer Rassenreinheit" dargestellt. Heute hingegen tendiert man zum anderen Extrem. Es ist Mode, die Wissenschaft so zu verdrehen, dass man es dem Volk so präsentieren kann, als wäre Europa schon immer ein Hort ethnischer Vermischung gewesen, um das Multikulti-Experiment durch die Vorgaukelei eines "prähistorischen Völkergemischs" auf eine pseudo-wissenschaftliche Ebene zu hieven. Und so kondensiert die Systempresse die Sensation auf einen dunkelhäutigen, glatzköpfigen Türken.

Das ist gleich mehrfach unseriös. Denn zum einen meint "dunkler als bislang angenommen" natürlich keine "pechschwarze" (oder "kaffeebraune") Haut, sondern eine der dunkleren Schattierungen in der Breite der europäischen Hautfarben. Diese Variation findet man auch heute: Ein Spanier wird in der Regel einen etwas dunkleren Teint haben als ein Finne. Doch die Behauptung, Ötzi sei Türke, ist noch absurder. Denn Ötzi starb wohl etwa um 3.250 v. Chr. - die türkische Landnahme in der Türkei fand erst über 4.000 Jahre später statt. Die anatolischen Wurzeln des "Mannes vom Similaun" dürften wiederum noch einige Jahrtausende weiter zurückliegen. 

Der Status-Redakteur Julian Schernthaner wies auf Twitter auf die Idiotie des "Türken"-Arguments hin:

"Ötzi-Verwandte" leben noch in Tirol

Mit den heutigen Türken hat Ötzi also relativ wenig zu tun. Seine nächsten genetischen Verwandten finden sich auch heute noch - wen wundert's - in seiner Tiroler Heimat. Bei einer Gen-Studie unter 3.000 Freiwilligen wurden vor einigen Jahren 19 "Ötzi-Verwandte" entdeckt, die sich einen gemeinsamen Vorfahren mit der Gletscher-Mumie teilen, der allerdings bereits einige tausend Jahre vor Ötzi lebte. Alle von ihnen kamen aus einem bestimmten Teil des Tiroler Oberlandes. Die Forscher gingen aber auch davon aus - Ötzi selbst lebte wohl im Südtiroler Schnalstal - dass man im Vinschgau und Engadin ebenfalls auf regionale Häufungen seiner G2a-Sub-Haplogruppe stoßen wurden.

Auch dort findet man noch heute "dunkle, urige Typen" und die Forschung ist sich über die Disziplinen hinweg relativ einig, dass sich die rätische Urbevölkerung sehr lange halten konnte und daher in den hinteren Tälern auch kaum Verdrängung oder Vermischung stattfand. Je westlicher, abgelegener und höher man in Tirol kommt, desto seltener werden auch keltische und germanische Flur- und Ortsnamen. Besonders in den Bezirken Imst und Landeck gibt es verstärkt romanische und vorrömische Toponyme. Einige alte Berg- & Gewässernamen in Tirol sind etymologisch unklar. Welche Sprache Ötzi sprach ist ungewiss. Einer Theorie zufolge könnte es eine Urform des nur in Relikten greifbaren Rätischen gewesen sein.

Der Journalist Thomas Breit ("Neue Normalität") merkte an, die Medien hätten Ötzi zum "Ö(t)ztürk" gestempelt: 

Die Crux mit den "türkischen Genen"

Aber welchem ethnischen Verband entstammten Ötzis "türkische" Vorfahren nun wirklich? Das lässt sich schwer sagen, da Anatolien seit jeher "Durchzugsland" war und seine Herren regelmäßig wechselten. Manche Forscher glauben, dass es sich bei den "anatolischen Urbauern" um die Vorfahren historischer Hattier handelt, die um 2000 v. Chr. von den indogermanischen Hethitern unterworfen wurden, die aber wiederum hattische Götter und Kunstformen übernahmen. Eine gewisse genetische Kontinuität gibt es aber sehr wohl: Die mit den Urbauern in Verbindung gebrachten Y-DNA-Haplotypen J2 (24%) und G (5,3%) kommen relativ häufig vor, dasselbe gilt für die mit der indogermanischen Wanderung assoziierte Gruppe R1b (15,9%).

Damit sind diese öfter vertreten als Haplotypen aus der zentralasiatischen Urheimat der Turkvölker. Erst bei der detaillierteren Gen-Untersuchung ("Whole genome sequencing"), wie sie auch bei Ötzi durchgeführt wurde, änderte sich das: Der Anteil von DNA-Markern aus der türkischen "Urheimat" liegt je nach Studie zwischen 9 und 22 Prozent. Interessant ist wiederum, dass den Großteil des Genoms just die "anatolischen Urbauern" ausmachten, deren "genetischer Grundstock" nicht einmal durch die "Türkisierung" im Osmanen-Reich verdrängt wurde. Dies könnte auch am hohen Prozentsatz (ca. 20%) der islamischen Cousin-Heirat liegen, die naturgemäß tendenziell zu endogamen Bindungen führt.

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